
Zwischen Standards und Einzellösungen: E-Rechnung in Europa und neue Mandate
Europa sieht neuen komplexen und teils widersprüchlichen Vorschriften zur elektronischen Rechnungsstellung entgegen und die Fristen rücken näher. Für jedes Unternehmen, das in Europa tätig ist, ist das, was vor kurzem noch Zukunftsmusik war, nun eine Realität, die schnell und konform umgesetzt werden muss. Dieser Übergang ist ein zentraler Bestandteil des EU-Ziels, einen vereinheitlichten digitalen Binnenmarkt zu schaffen, der die Steuertransparenz und Effizienz verbessern soll.
Was ist die ViDA-Initiative (VAT in the Digital Age) der Europäischen Union?
Die Initiative „VAT in the Digital Age“ (ViDA) ist der umfassende Plan der Europäischen Union zur Modernisierung des Mehrwertsteuersystems durch Digitalisierung. ViDA wurde im März 2025 verabschiedet und zielt darauf ab, den grenzüberschreitenden Handel zu vereinfachen, Betrug zu reduzieren und die elektronische Rechnungsstellung sowie die digitale Berichterstattung in allen EU-Mitgliedstaaten zu harmonisieren.
Sie führt einen standardisierten Rahmen für die Transaktionsberichterstattung in Echtzeit ein, macht die E-Rechnung zum Standard und ermöglicht es den Ländern, nationale Modelle mit den neuen Regeln in Einklang zu bringen, wobei Sonderausnahmen eingeschränkt werden.
In den nächsten Jahren soll ViDA die fragmentierten nationalen Systeme schrittweise ersetzen, um mehr Transparenz, Interoperabilität und Effizienz bei der Einhaltung von Vorschriften im europäischen Binnenmarkt zu gewährleisten.
Was ist eine E-Rechnung?
Die E-Rechnung ist die vollständig digitale Erstellung, Übermittlung und Verarbeitung von Rechnungen in einem strukturierten elektronischen Format (z. B. XML), das eine automatisierte Auslesung und Validierung durch Buchhaltungs- oder Steuersysteme ermöglicht.
Sie gewährleistet Datenkorrektheit, schnellere Verarbeitung und die Einhaltung steuerlicher Vorschriften, indem Rechnungsinformationen direkt zwischen Lieferant, Käufer und Steuerbehörden übermittelt werden.
Ist ein PDF eine elektronische Rechnung?
Nein, E-Rechnungsstellung bedeutet nicht einfach, eine PDF- oder gescannte Datei per E-Mail zu versenden. Formate wie PDF, TIF, JPEG oder Word sind unstrukturiert und erfordern manuelle Dateneingabe.
Konforme E-Rechnungsstellung bedeutet maschinenlesbare Daten, sichere Übertragung und nachvollziehbare Validierung, nicht nur digitalisierte Dokumente.
EN 16931: Der europäische Standard für elektronische Rechnungen
Um eine gemeinsame „Sprache“ für elektronische Rechnungen zu schaffen, hat die EU den europäischen Standard EN 16931 eingeführt. Dieses semantische Datenmodell definiert die Kerndaten, die eine elektronische Rechnung enthalten muss, und bildet die Grundlage für die Interoperabilität in ganz Europa.
Um sicherzustellen, dass E-Rechnungen strukturiert, interoperabel und maschinenlesbar sind und einen nahtlosen Austausch zwischen Lieferanten, Käufern und öffentlichen Verwaltungen ermöglichen, legt der Standard drei obligatorische Ebenen der Konformität fest:
- die Ebene des Rechnungsdokuments,
- die Implementierungsebene,
- und die Spezifikationsebene
Auf der Ebene des Rechnungsdokuments muss die elektronische Rechnung alle erforderlichen Daten enthalten, standardisierte Strukturen und Codes verwenden und Berechnungen gemäß dem Kernmodell (CORE) oder einer genehmigten nationalen Variante, bekannt als CIUS (Core Invoice Usage Specification), durchführen.
Die Implementierungsebene gewährleistet die Interoperabilität, d. h. Absender müssen konforme Rechnungen erzeugen können, und Empfänger müssen in der Lage sein, jede Rechnung zu verarbeiten, die dem CORE- oder CIUS-Modell entspricht.
Schließlich muss auf der Spezifikationsebene jede CIUS vollständig mit dem CORE-Standard kompatibel bleiben und als Untermenge fungieren, die dessen Regeln nicht verändert. Dadurch wird sichergestellt, dass Systeme, die das vollständige CORE-Modell unterstützen, auch CIUS-konforme Rechnungen verarbeiten können. Öffentliche Einrichtungen in der EU sind gemäß der Richtlinie 2014/55/EU gesetzlich verpflichtet, EN 16931-konforme Rechnungen zu empfangen, was ein einheitliches und interoperables E-Rechnungs-Ökosystem in Europa fördert.
Kurz gesagt, als Unternehmen stehen Sie vor denselben Anforderungen an den Inhalt einer Rechnung:
- Sie müssen Rechnungen senden und empfangen können,
- Rechnungen korrekt, sicher und strukturiert erstellen,
- und die Struktur der elektronischen Rechnung muss vollständig mit der europäischen Norm (EN16931) kompatibel sein.
E-Rechnungsstellung in Europa ist keine Frage des „ob“, sondern des „wann und wie“
Während die EU den übergeordneten Rahmen bereitstellt, setzen einzelne Länder ihre eigenen ehrgeizigen, mehrstufigen Zeitpläne fest. Die Richtung ist klar und die Fristen sind verbindlich.
Für Unternehmen muss der Fokus von der Entscheidung, ob sie E-Rechnungen einführen, auf das „Wann“ und „Wie“ der Umsetzung der erforderlichen technischen und prozessualen Änderungen in jedem Markt verlagert werden. Die gestaffelten, mehrphasigen Fristen bedeuten, dass Unternehmen eine marktspezifische Umsetzungsstrategie verfolgen müssen.
Anforderungen an die E-Rechnung in Europa: Ein gemeinsames Ziel mit fragmentierten Regeln
Paradoxerweise haben EU-Länder teils unterschiedliche Anwendungsfälle und Praktiken für elektronische Rechnungen. Solche nationalen Anwendungsfälle können eine zusätzliche Ebene länderspezifischer Formate und Vorschriften erfordern. Ein Format, das in einem Land konform ist, kann in einem anderen unzureichend sein.
Polen 🇵🇱
- B2B-Mandat: Februar 2026 (Unternehmen >46 M € Umsatz) April 2026 (alle anderen Unternehmen)
- Format: Verlangt strikt das proprietäre XML-Schema FA(3) und erlaubt keine anderen Formate für B2B-Transaktionen.
Frankreich 🇫🇷
- B2B-Mandat: September 2026 (Empfang für alle; Ausstellung für große/mittlere Unternehmen) September 2027 (auch Ausstellung für KMU)
- Format: Erfordert, dass Unternehmen und ihre akkreditierten Plattformen drei verschiedene Formate verarbeiten können: UBL, CII und das nationale Hybridformat Factur-X.
Belgien 🇧🇪
- B2B-Mandat: Januar 2026 (Ausstellung & Empfang für alle Unternehmen)
- Format: Schreibt die Verwendung von Peppol-BIS als Standardformat für alle über das Peppol-Netzwerk übermittelten Transaktionen vor.
Deutschland 🇩🇪
- B2B-Mandat: Januar 2025 (Pflicht zum Empfang für alle Unternehmen) Januar 2027 (Pflicht zur Ausstellung für >800 Tsd. € Umsatz) Januar 2028 (Pflicht zur Ausstellung für alle Unternehmen)
- Format: Kein verpflichtendes Format – jedes Format, das mit EN 16931 konform ist, wird akzeptiert. Häufige Beispiele sind XRechnung und ZUGFeRD.
Italien 🇮🇹
- B2B-Mandat: bereits in Kraft
- Format: Betreibt ein zentrales Clearing-System über das Sistema di Interscambio (SdI) und schreibt das nationale XML-Format FatturaPA als einzig gültiges Rechnungsformat für inländische B2B-, B2C- und B2G-Flüsse vor; andere EN 16931-konforme Formate müssen für die Einreichung in FatturaPA konvertiert werden.
Spanien 🇪🇸
- B2B-Mandat: Sobald Spaniens technische Verordnung offiziell veröffentlicht ist, müssen Unternehmen mit >8 M € Umsatz innerhalb von 12 Monaten und alle anderen innerhalb von 24 Monaten konform sein. Viele Beobachter erwarten eine gestaffelte Einführung zwischen 2026–2027.
- Format: Spanien plant ein interoperables Modell (öffentliche + private Plattformen), das mehrere strukturierte Formate akzeptiert, insbesondere Facturae, sowie kompatible Optionen wie UBL und EDI, und wird mit steuerlichen Regelungen wie Verifactu, TicketBAI und NaTicket koexistieren. Anbieter müssen in der Lage sein, diese zu verarbeiten und zu interoperieren.
Griechenland 🇬🇷
- B2B-Mandat: Februar 2026 (>1 M €) Oktober 2026 (alle)
- Format: ausstehend
Dänemark 🇩🇰
- B2B-Mandat: Januar 2026
- Format: Peppol BIS 3.0, OIOUBL
Kroatien 🇭🇷
- B2B-Mandat: Januar 2026
- Format: PEPPOL BIS 3.0, UBL 2.1, CII
Slowakei 🇸🇰
- B2B-Mandat: Januar 2027
- Format: Peppol BIS 3.0, UBL, CII
Portugal 🇵🇹
- B2B-Mandat: Noch kein Mandat, aber ab Januar 2026 muss ein QR-Code in die Rechnung eingebettet sein
- Format: voraussichtlich CIUS-PT
Schweden 🇸🇪
- B2B-Mandat: Noch kein Mandat, aber weit verbreitet
- Format: Svefaktura, EDIFACT, Peppol BIS 3.0
Österreich 🇦🇹
- B2B-Mandat: Noch kein Mandat
- Format: ebInterface, Peppol BIS 3.0, CIUS-AT NAT, CIUS-AT GOV
Die wichtigste Erkenntnis für Ihr Unternehmen? E-Rechnungs-Compliance ist keine technische Einheitslösung.
Eine robuste Strategie muss einen Dienstleister oder interne Kompetenzen umfassen, um die länderspezifischen Anforderungen zu erfüllen.
Da diese Fristen näher rücken, lautet die entscheidende Frage nicht mehr, ob Ihr Unternehmen sich anpasst, sondern wie. Haben Sie bereits einen strategischen Partner gewählt und eine organisatorische Roadmap entwickelt, um die komplexen Mandate zu Ihrem Vorteil zu nutzen?